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Tomatengeschichten – «Die Schildkrötentomate»

In unregelmäßigen Abständen erzählen Ute und Martin Tomatengeschichten der besonderen Art. Tomatensorten haben immer einen Namen. In manchen Fällen verbirgt sich hinter diesem Namen eine interessante Geschichte, wie beispielsweise bei der «Schildkrötentomate».

© Martin Studer

Abszission bezeichnet in der Pflanzenkunde die Fähigkeit von Pflanzen, Teile abzusondern oder abzuwerfen. Eine ausgeprägte Abszission ist für die industrielle Ernte von Früchten ein wichtiger Faktor. Das gilt  insbesondere für die Tomate; denn je leichter die Tomate sich vom Stängel löst, desto einfacher ist es, sie maschinell zu ernten.

Die Schildkrötentomate

Dr. Charles Madera Rick (1915-2002) gilt als Indiana Jones der Tomate. Er durchforschte die Täler und Höhen der Anden nach ursprünglichen Tomatensorten und legte ein riesiges Archiv an, das Tomato Genetics Ressource Center der University of California. Er besuchte auch die 1000 km vor der südamerikanischen Küste gelegenen Galapagosinseln im Pazifik, wo er einer Tomatensorte begegnete, die ihn aufgrund ihrer ausgeprägten Abszission faszinierte. Er nahm Samen mit, um die Pflanze in Kalifornien nachzuzüchten. Doch die Samen wollten nicht keimen. Er versuchte es immer wieder auf unterschiedlichste Weise, doch ohne jeden Erfolg. Als Botaniker wusste er, dass manche Samen von Vögeln verdaut werden müssen, bevor sie keimfähig sind. Er probierte auch das aus, jedoch ohne Erfolg. Es blieb nur noch eine Möglichkeit: die berühmten Galapagos-Riesenschildkröten! Er kontaktierte einen befreundeten Forscher, der sich mit den Inselurtieren auskannte, und sandte ihm die letzten verfügbaren Samen. Doch Schildkröten sind extreme Langsamverdauer und je grösser, desto länger braucht es, bis die Nahrung durch ihre Därme hindurch ist. Es dauerte Wochen, bis Rick die ersehnten Kothaufen erhielt; er wässerte sie, wartete – und siehe da: Die Tomatensamen keimten! Weitere Züchtungen führten zu einem einfacheren Keimverhalten, was es schließlich erlaubte, die Qualität der Abszission für die Entwicklung von Industrietomaten zu nutzen. In allen heute verwendeten Gewächshaustomaten wurde das Galapagosgen eingekreuzt und so hat jede Tube Tomatenmark und jede Büchse Schältomaten etwas mit den uralten Riesenschildkröten der Pazifikinsel zu tun …

Galapagos © Martin Studer

Quellen:

  • Jean- Baptiste Malet: Das Tomaten-Imperium; Bastei Lübbe 2018
  • Charles M. Rick, Robert I. Bowman: Galapagos Tomatoes and Tortoises; University of California, November 1980
 Buchcover