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HauptAutorin: Saphira Graziano

Atelier4Kleider nicht voreilig weggeben: Neues aus gebrauchten Kleidungsstücken

Überglücklich ist Saphira Graziano über das Erscheinen ihres ersten Buches schneiden – tauschen – nähen, das diesen März im Haupt Verlag erschienen ist. Wie kam die 34-jährige Modedesignerin dazu, ein Buchprojekt anzupacken?


«Ich habe einen Dokumentarfilm über die Textilbranche gesehen und war schockiert über die Bedingungen, unter denen Näherinnen in Drittweltländern arbeiten müssen. Der Film warf auch einen kritischen Blick auf unser Konsumverhalten und unsere Sucht nach Billigkleidern. Das Thema bewegte mich, und ich begann zu überlegen, was ich tun könnte. Auf neue Kleider wollte ich nicht verzichten. So kam mir die Idee, meine Garderobe zu durchforschen und Kleider, die ich nicht mehr trug, auszusortieren. Die Auslese begann ich dann zu verwandeln. Ich hatte sehr viel Spaß dabei.»
So entstand die Nähmethode schneiden – tauschen – nähen. Erwähnenswert ist auch, dass man mit dieser Methode auf einfache Weise schnelle Resultate erzielt. Heute haben die Menschen Lust, kreativ zu sein, etwas anzupacken, aber leider immer weniger Zeit. Eine Nähtechnik von Grund auf zu erlernen, kann heute ein zeitliches Hindernis sein. Fast zeitgleich hatte sich Graziano ein Buch für Babysachen ausgeliehen und sich über die Anleitungen geärgert, die nicht funktionierten. Der Impuls war gegeben: «Ich mache ein Buch. Und zwar ein Buch, in dem ich meine Nähschule vorstelle und zugleich Anleitungen präsentiere, die garantiert funktionieren.»

«Ich kannte die Bücher von Laura Wilhelm (Das war doch meine Lieblingsjeans! und Es war einmal ein Hosenbein…), die im Haupt Verlag erschienen sind. Mir schwebte etwas Ähnliches vor. Das Design musste aber unbedingt im Vordergrund sein.» So kam es, dass Graziano den Haupt Verlag anfragte und das Glück ein weiteres Mal auf ihrer Seite stand – ihre Buchidee gefiel. Sie hatte das Buch nicht von A bis Z durchgeplant, da sie prozessorientiert vorging. Die Kapitel «Rollentausch», «Vertauschen» und «Tauschpartner» kristallisierten sich beim Arbeiten und Ausprobieren heraus.

Beim «Rollentausch» wird ein sommerliches Spitzentischtuch zu einem Sommerkleid oder aus Strumpfhosen ein Bikini. Beim «Vertauschen» entstehen aus Stoffresten Stoffblüten, Haarbänder, Mützen oder coole Taschen. Bei «Tauschpartner» werden verschiedene Kleidungsstücke zerschnitten, ausgetauscht und wieder zusammengenäht. So ergeben sich attraktive zweifarbige T-Shirts oder ein Blazer, kombiniert mit einem Wollschal. Das Hauptanliegen ist, dass die Leser und Leserinnen der eigenen Kreativität freien Lauf lassen können und nicht ein Kleidungsstück nach Vorlage nähen. Ebenfalls eine zentrale Botschaft soll der sorgfältige Umgang mit Materialien sein. Saphira Graziano versucht, möglichst keine Resten zu produzieren. Aus Stoffschnipseln können schöne Stoffblumen oder Bänder gefertigt werden.

Eigentlich wollte Saphira Graziano Dekorationsgestalterin werden. Schon als Kind liebte sie es, stundenlang zu basteln, zu werkeln, zu nähen – ganz einfach kreativ zu sein. Da sie keine entsprechende Lehrstelle fand, absolvierte sie eine Ausbildung in einem Schneideratelier in Altdorf. Nach den Lehrjahren suchte die gelernte Damenschneiderin nach einer neuen Herausforderung. Modedesign interessierte sie. Die Aufnahmeprüfung der Mode Design Schule Zürich bestand sie problemlos. Graziano gefiel der kreative Ansatz des Designens, musste aber feststellen, dass ihr Wesen nicht kompatibel ist mit der Fashionwelt. Als Änderungsschneiderin und Modedesignerin wollte sich Saphira also nicht positionieren. Was kam aber dann in Frage? «Ich habe einen Flyer der M-Art-Kurse der Migros entdeckt und habe mich auf die ausgeschriebene Stelle als Kursleiterin beworben.» Und wieder einmal hat das Glück in Saphiras Leben zugeschlagen, und sie erhielt die Anstellung. Später wurde sie Mutter und hat sich zuhause im Keller an der Birchstrasse im Seebachquartier in Zürich ihr Nähatelier «umgarnt» eingerichtet.

 

Atelier3
Da das Buchprojekt zeitintensiv war, trat die Arbeit im Atelier etwas in den Hintergrund. Saphira Graziano hat aber eine neue Idee: Designerkleider fürs kleine Budget. Die Kunden und Kundinnen bringen ihr unliebsam gewordene Kleidungsstücke, und Graziano designt ein neues Stück daraus. Der Kundenwunsch soll ganz im Vordergrund sein. Fragen wie weshalb das Kleidungsstück nicht mehr getragen wird, welche Farben oder welcher Schnitt gefallen, dienen ihr als Indizien, etwas Neues zu kreieren. Und was ist reizvoll daran? «Da die Kundinnen die Kleider grundsätzlich nicht mehr wollen, bin ich sehr frei in der Gestaltung. Und wenn das Resultat nicht gefällt, nehme ich kein Geld.»

 

 

Die Idee ist überzeugend, und es wäre erstaunlich, wenn Frau Graziano kein Glück dabei hätte. Denn, wie sie gerne betont: «Ich bin am glücklichsten, wenn ich nähe. Es gibt dann keine Trennung zwischen Job und Person, und ich kann wie beim Theater mit verschiedenen Persönlichkeiten spielen, was für mich Faszination pur bedeutet.»
Sie greift nach einer kleinen Schachtel und öffnet sie. Darin sind getrocknete, vierblätterige Kleeblätter, die Saphira Graziano seit ihrer Kindheit gefunden hat. Eine ziemliche Menge, die ihr bisheriges Glück passend illustriert.

Glück

 Buchcover